Imogen Dalmann & Martin Soder

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Der Yoga, Corona und der Âtman

 

"Yoga galt bisher als unpolitisch. Doch das Virus hat selbst das verändert." - so die Neue Züricher Zeitung schon im Februar diesen Jahres. (1) Wir alle ahnen es oder wissen es aus persönlichen Diskussionen: Auch in der Yogaszene gibt es Corona-Leugner:innen und  viele, welche die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verbal ablehnen oder auf der Straße dagegen protestieren. So fanden sich bei Protesten vor dem Reichtagsgebäude in Berlin Meditierende mit Aluhüten und ein Musikerpaar, Yogalehrende bei Yoga Vidya, trat werbewirksam bei Querdenker-Demonstrationen mit eigenen Kompositionen auf. Auch der BDY ist beunruhigt: "Wir bekommen sehr viele Zuschriften von Mitgliedern, die uns gegenüber klar äußern, dass sie mit großer Sorge beobachten, wie ein geringer Teil der Yogalehrenden sich Verschwörungstheorien annähert oder auch auf Demonstrationen geht." (2)

Es ist die esoterische Interpretation des Yoga, die solchen Entwicklungen Tür und Tor öffnet. Sie erfreut sich großer Verbreitung im Netz, findet sich aber auch in vielen Yoga-Ratgeber-Büchern und in bestimmten Yoga-Zeitschriften, wie etwa Yoga aktuell. Hier stößt die Leserin, der Leser regelmäßig auf Beiträge, die auf einer wilden Mischung aus hinduistischen Glaubensinhalten und selbstgebrauten verschwurbelten Fantasien beruhen. Welche unseligen Konsequenzen solche Ideen für die Orientierung und die Gesundheit vieler Menschen haben können, lässt sich an zwei Beiträgen des Magazins Yoga aktuell ablesen, die in den Editorials der Hefte Mai/Juni und Oktober/November 2021 veröffentlicht wurden. Der Autor ist Uwe Haardt, Herausgeber der Zeitschrift. 

Schon in der April/Mai-Ausgabe schreibt er: „Vor einem Virus, das meine Atemwege infizieren könnte, habe ich keine Angst. Im Gegenteil. Wenn es kommen will, bin ich ihm dankbar. Denn es erinnert mein Immunsystem daran, wach und stark zu bleiben und die Atemwege als „Âtman-wege“ zu reinigen“..."Das Âtmanbewusstsein nimmt mir die Angst vor der Sterblichkeit. So kann ich das gegenwärtige Geschehen als gewöhnliche Erfahrung betrachten, die zum vergänglichen Teil unseres Lebens gehören wie das Hinfallen zu Laufenlernen...die Sternschnuppe zum Himmel". (3)

Sollten wir also dankbar sein für eine Covid-Infektion, könnte sie uns doch eine "gewöhnliche Erfahrung" genießen lassen, die zum vergänglichen Teil unseres Lebens gehört! Oder kurz: Sterben müssen wir alle einmal. Und werden vielleicht auch noch eine Sternschnuppe mehr am Himmel! 

Eigentlich aber ist es so:  Die ..."Angst ..." – nicht das Virus wohlgemerkt - "... hat durch ihre geistige Enge ganze Kontinente in Geiselhaft genommen, den Strom des Lebens abrupt unterbrochen, unzählige Existenzen gefährdet und Lebenswege blockiert ... Das Virus ist … im Ursprung als Erreger eine vritti, ein ständig kreisendes Gedankenfragment unseres Verstandes, das… unser stilles âtmisches Sein als Lebe- und Liebewesen Gottes, das wir in Wirklichkeit sind, überschreibt“.

Was wir hier lesen, ist esoterisches Yoga-Denken in Reinkultur: Das Virus ist nicht wirklich - es ist eine Gedankenbewegung, es existiert nur in unseren Köpfen.

Wie sich ein solches Denken angesichts der realen Ereignisse auf Intensivstationen und Friedhöfen, Kindergärten und Arbeitsplätzen behaupten könnte, bleibt das Geheimnis des Autors.   

Aber nein, es scheint ja doch so etwas wie ein reales Virus zu geben. „Viren sind … als „notwendiger Teil der Schöpfungsmatrix mitnichten etwas Böses..." nein, "... sie erinnern uns, wenn die Verbindung zum inneren „Immun alias Âtman geschwächt oder verloren gegangen ist...“. Und:  "... ein Virusgeschehen, das nicht unterdrückt wird, initiiert auf natürliche Art und Weise das Prinzip des âtmaviccâra, der sogenannten Selbsterforschung ". "So, aus dem Sein heraus, sind wir vollkommen immun.“ (4)

Gleich drei Botschaften werden hier vermittelt: Erstens besteht also eigentlich gar keine Gefahr, an diesem Virus zu erkranken oder zu sterben - wir müssen nur dem Âtman in uns vertrauen.  Zweitens aber: Wer nicht auf das "Immun Âtman" vertraut, verbaut sich den Weg zu wahrer Selbsterforschung ist entsprechend selbst schuld, wenn sie oder ihn eine Covid-Infektion trifft.  Und drittens: Wer sich wirklich etwas Gutes tun möchte, lässt sich besser nicht behandeln oder gar impfen. Denn was ist ein Virusgeschehen, das nicht unterdrückt wird? Eines, gegen das keine Medikamente gegeben und keine Impfungen vorgenommen werden.

Doch nicht nur die Vermeidung von Impfzentren und Ärzt:innen legt Haardt den Leser:innen nahe: „… das Gewöhnliche zum Außerordentlichen, der Schnupfen zum Katastrophenfall, der Husten zum Notstand erklärt" werde, ist Widerstand angebracht: „Glaube nicht jenen, die behaupten, es gäbe eine vorgefertigte, auf Fakten gecheckte Antwort dafür, die man nur brav wiederkäuen müsse. Prüfe im Inneren deines Herzens, wenn erzählt wird, man brauche nur, um sich zu immunisieren, quasi zwischen Tür und Angel ein materielles Mittel zu sich zu nehmen und die Angelegenheit wäre damit erledigt. Eine wahre Immunantwort … "erkennen wir daran, dass sie den Menschen nicht maskiert, verdichtet, verpfropft und schwächt…“

Das sind deutliche Aussagen: Masken tragen hilft nicht, es schwächt vielmehr, ebenso wie die Unterdrückung des Virusgeschehens durch Impfen die Immunität; Faktenchecks sind besser zu meiden als Ausdruck der allen esoterischen Weltsichten gemeinsamen Ignoranz gegenüber Fakten . (Was überhaupt soll das meinen, „eine vorgefertigte, auf Fakten gecheckte Antwort“? Entweder eine Antwort ist vorgefertigt oder sie ist es eben nicht – weil sie sich eben auf überprüfbare Fakten stützt, also nicht "fertig" sind.) Und dagegen steht die immer richtige Antwort aus dem „Inneren Deines Herzen“, das sich von keinem Argument, von keinen noch so offensichtlichen Tatsachen beirren lässt. 

Eine klarere Empfehlung zum Umgang mit unserer Gesundheit und der unserer Mitbürger in dieser schwierigen Krise kann man kaum bekommen - eine dümmere auch nicht. Das Problem: Sie ist gefährlich für Menschen, die dazu neigen, in unsicheren Zeiten auf scheinbar ewige Weisheiten wie die Existenz eines "Immun-Âtman" zu vertrauen. Und diese Empfehlung mitsamt ihren verschwurbelten Begründungen in den Kontext von Yoga gesetzt, schadet dessen Ansehen in unserer Gesellschaft.

 

Yoga, Westliche Esoterik und Okkultismus

Woher aber nähren sich solche Vorstellungen? Wie kam das esoterische Denken in den modernen Yoga? Inhaltlich eint alle esoterischen Yoga-Strömungen der explizite oder unbewusste Bezug auf das Gedankengut der Theosophie, aus der auch die anthroposophische Lehre Rudolf Steiners hervorging. Gründerin und Gedankengeberin der theosophischen Bewegung, die als Theosophische Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA ihren Anfang nahm, war die russlanddeutsche Okkultistin Helena Balvatsky. Sie war es vornehmlich, die über Jahre hinweg federführend ihre esoterischen Werke vor allem in Indien und den USA verbreitete. Einen frühen Teil der theosophischen Wurzeln bildet Mesmers "Animalischer Magnetismus", zu dem das Tischerücken und die Kontaktaufnahme mit den Geistern verstorbener Familienmitglieder gehörte. (5)

Ein zweiter, sehr bedeutsamer Aspekt des esoterischen Yoga stammt aus Einflüssen der hinduistischen Lehre der Wiedergeburten, die die Theosophie bereitwillig aufnahm und in ihrem Sinne deutete. Hierher erklärt sich ihr Bezug auf den Âtman, das sogenannte "unsterbliche Selbst" im Menschen und die Vorstellung, dass sich die Ereignisse eines Menschenlebens aus der Vergangenheit seiner früheren Leben heraus deuten sowie sein gegenwärtiges Handeln sich in Belohnung oder Strafe einer zukünftigen Inkarnation wiederfinden ließen.

Was die theosophische Ideologie des Weiteren auszeichnet: Ihre große Distanz zu wissenschaftlich errungenen Erkenntnissen verbindet sich mit dem intensiven Bemühen, das eigene metaphysischen Gedankengut wissenschaftlich begründet erscheinen zu lassen. Es ist der (zum Scheitern verurteilte) Versuch, in einer Welt zu bestehen, in der immer sich weiter entwickelnde wissenschaftliche Erkenntnisse eine wichtige Rolle für das Verständnis, die Handlungen und den Alltag der Menschheit spielt.

In diesen Traditionen steht der Herausgeber von Yoga aktuell. Sich nun entschlossen der Fakten-leugnenden Fraktion der Querdenker-Bewegung zu verschreiben, ist deshalb nur folgerichtig.

Unsere Botschaft dagegen ist: Vertrauen Sie in diesen schwierigen Zeiten ihrem gesunden Menschenverstand, den zunehmenden Erkenntnisgewinnen der Wissenschaft und darauf, dass ein Ringen um die Berechtigung und den Sinn von Maßnahmen dann zu einem tragbaren Ergebnis führt, wenn alle daran Beteiligten offen bleiben für nachvollziehbare und gut begründete Argumente. Sie beruht auf der Annahme, dass Erkenntnis wächst und nicht schon immer vorhanden ist. Und deshalb neue Erkenntnisse durch der Wirklichkeit angemessenere ersetzt werden können und sollten. Sehr ehrlich und passend ausgedrückt hat das die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx in einem Interview mit dem Tagesspiegel (6):  "Als Wissenschaftler irren wir uns empor".

(1)   NZZ vom 27.2.21.

(2) deutschlandfunkkultur.de 6.12.20

(3) ab hier: Yoga aktuell Nr. 129, Editorial

(4) ab hier: Yoga aktuell Nr 130, Editorial

(5) Detaillierte Fakten z.B. in: Wouter Wouter J.HanegraaffWestern Esotericism and the Orient in the First Theosophical Society (2021) in: Hans-Martin Krämer & Julian Strube (eds.), Theosophy Across Boundaries : Transcultural and Interdisciplinary Perspectives on a Modern Esoteric Movement, University of New York Press : Albany 2020,

oder: Karl Baier, Der Magnetismus der Versenkung. Mesmeristisches Denken in Meditationsbewegungen des 19.und 20. Jahrhunderts. In: Monika Neugebauer-Wölk et al. (Hg.): Aufklärung und Esoterik: Wege in die Moderne. Berlin/Boston 2013

(6) Tagesspiegel, 5.11.2021

Ein informativer Artikel in der Neuen Züricher Zeitung über den Umgang mit Corona- und anderen Mythen in der Yoga-Szene.

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