Fragen zu Yoga und Gesundheit

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So wirkt Yoga

Mythen und Fakten

Kopfstand verbessert nicht die Hirndurchblutung, Drehungen reinigen nicht die Leber und der Schulterstand hat keinen Einfluss auf die Schilddrüsenhormone. Wie wirkt Yoga dann?

Yoga wirkt 1

In den letzten Jahrzehnten ist es der Wissenschaft zunehmend gelungen, die ganzheitliche Sicht auf die Ursachen von Krankheit und innerem Ungleichgewicht auf ein solides Fundament zu stellen. Die Kenntnisse der komplexen Zusammenhänge menschlichen Lebens helfen, immer besser zu verstehen, wie Heilung geschieht: Menschen genesen von einer Erkältung, gebrochene Knochen wachsen wieder zusammen, Wunden schließen sich, Rückenschmerzen verfliegen oder dunkle Gedanken werden durch helle verdrängt. 

So normal uns diese Vorgänge auch erscheinen, in Wirklichkeit sind sie doch alltägliche Wunder. Sie lassen sich verstehen als Ausdruck der biologischen Tendenz aller menschlichen Lebensprozesse zur Selbstheilung und Neuordnung gestörter Funktionen. 

Heute können wir immer besser nachvollziehen, wie die Struktur, die Dynamik und die physiologische Grundlage von Heilung über unvorstellbar lange Zeit hinweg im Feuer der Evolution geschmiedet wurden.

Heilung ist in hohem Maße selbstorganisiert.

„Das menschliche System ist getragen von einer faszinierenden Vernetzung seiner ­dyna­mischen Teilbereiche, die sich in enger Kommunikation unterein­ander selbst regulieren. Entgegen früheren Vorstellungen wird es weder von einer alles durchdringenden Lebensenergie noch durch unseren Geist als zentraler Schaltstelle menschlicher Lebensprozesse dirigiert. Es gibt kein Zentrum, das gleichsam alles überblickt und steuert.“

Das zeigt sich im Großen wie im Kleinen: Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich beim Barfußlaufen einen Dorn in den kleinen Zeh getreten. Das winzige Areal, in dem jetzt der Dorn steckt, spielte bis dahin in der Gesamtorganisation Ihres Körpers eine ganz unbedeutende Rolle. Nun ändert sich das schlagartig. Die kleine Wunde wandelt sich zu einem Mittelpunkt vielfältiger Reaktionen. Wichtige Körperfunktionen werden nun von dort aus beeinflusst und mitgeregelt. So wird etwa Ihre im Körper allgegenwärtige Immunabwehr geweckt. Ihr Herz schlägt schneller und die Blutzirkulation wird beschleunigt. In Ihrem Knochenmark wird die Produktionssteigerung bestimmter Blutzellen vorbereitet. Ihre Kör­pertemperatur verändert sich. Selbst Ihr Geist gerät in eine andere Stimmung. Dies und noch unendlich viel mehr geschieht so lange, bis die Verletzung verschwunden ist. Zurück bleibt jedenfalls nichts außer einer kleinen Narbe. Was einige Tage lang ein wichtiges Befehlszentrum Ihres Körpers war, ordnet sich nun wieder ein in die gewohnte Funktion und die Stoffwechselvorgänge Ihres kleinen Zehs. 

Bisweilen mag es Faden und Geschick brauchen, um eine tiefe Wunde zu nähen; aber nicht die Naht, sondern ein sich selbst organisierender komplex vernetzter Heilungsprozess schließt am Ende die Wunde wirklich. Der Mensch organisiert sich in jedem Moment als Ganzheit über enge Abhängigkeiten und Verflechtungen seiner physiologischen Sub-Systeme. Daraus erklärt sich auch die große Flexibilität des menschlichen Organismus gegenüber Veränderungen und Herausforderungen. 

Die Qualität dieser ständigen Anpassungsleistung in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Herausforderungen und »Störfaktoren« bestimmt darüber, ob die fein austarierte Balance namens »Gesundheit« verloren geht und schließlich von Krankheit verdrängt wird oder nicht. Vor diesem Hintergrund verlangt Krankheit nach Therapie dann, wenn die eigenen Lebensprozesse ihre spontane sich selbst regulierende Dynamik eingebüßt haben. Demgemäß ist das Ziel jeder Therapie, die verloren gegangene Fähigkeit zur Selbstheilung wieder anzustoßen, oder – bei chronischen Erkrankungen – die Selbstheilungsprozesse dauerhaft zu unterstützen.

So wirkt Yoga

Yogapraxis ist ein Impuls, der auf die sich ­selbst organisierende auf ­Gesundheit ausgerichtete Dynamik des ­menschlichen Systems trifft. Klug und angemessen gewählt kann ein solcher Anstoß eine ins ­ Ungleichgewicht geratene Dynamik ­reorganisieren und damit gestörte ­Selbstheilungsprozesse wieder in Gang ­bringen.

„Jedes menschliche System ist anders beschaffen. Deshalb ist die ­ Reaktion auf diesen Impuls immer eine individuelle Reaktion. Aus ihr heraus ­entwickelt sich schließlich das, was wir als ­Wirkung von Yoga ­erleben und beobachten. Der aus dem indischen Mittelalter stammende Glaube, es gäbe für jede ­Yogaübung eine definierte Wirkung, ist unzutreffend. Er gründet in einem mechanistischen Bild der menschlichen Lebensprozesse und ­findet weder in der Erfahrung noch in wissenschaftlichen ­Untersuchungen eine Bestätigung.“

Jede Yogaübung aktiviert das menschliche System immer gleichzeitig über viele ganz unterschiedliche Wege. Auch wenn viele Antworten auf Fragen und sicher Überraschendes noch auf Entdeckung warten: Die dabei angestoßene innere ­selbstorganisierende Dynamik ist heute in wesentlichen Bereichen ­nachvollziehbar und erklärt. Durch die ­vielfältigen Abhängigkeiten, die ­extrem komplexen gegenseitigen ­Einflüsse und stark individuelle­­ ­­­Prägung der dabei wirkendenden ­Lebensprozesse wird sich die ­Gesamtwirkung einer Übung aber auch in Zukunft nur sehr begrenzt ­vorhersehen lassen. Deshalb braucht ­erfolgreiche Yogatherapie eine ­offene Kommunikation und Orientierung an den konkreten Erfahrungen der übenden Person. l Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer »prozessorientierten ­ Diagnostik«, in der die individuelle Reaktionen auf die Yogapraxis als ­diagnostisch relevante Einsichten in die innere Dynamik einer Person verstanden werden.

Yoga wirkt 1

Welche Regulationssysteme stehen nun im Mittelpunkt, wenn wir nach einer Erklärung für die Wirkungen von Yoga fragen? Welche Impulse kann Yoga für welche Bereiche geben? Kurz: Worin besteht die heilende Kraft des Yoga? Im Zentrum dieser Diskussion stehen drei Bereiche menschlicher Lebensprozesse:

  • das Bewegungs- und Haltungssystem,
  • die autonomen Steuerungssysteme,
  • das mentale, psychisch-seelische System.

Die Aufgaben und gegenseitigen Abhängigkeiten dieser Systeme möchten wir modellhaft darstellen. Wie in jedem Modell werden auch in dem hier benutzten vielschichtige Zusammenhänge so stark vereinfacht, dass sie anschaulich werden; gleichzeitig geht es darum, möglichst nahe an der natürlichen und um vieles komplexeren Wirklichkeit zu bleiben.

Das Bewegungs- und Haltungssystem

Mit dem Bewegungs- und Haltungssystem tritt der Mensch in Verbindung mit der Welt, bewegt sich in ihr, gestaltet sie und trägt gleichzeitig seinen inneren Zustand nach außen. In welchem Umfang dies der Fall ist, wird uns oft erst dann bewusst, wenn das Bewegungs- und Haltungssystem in ein Ungleichgewicht gerät. Vielleicht kennen Sie jemanden, der schwer an Parkinson erkrankt ist. Dann wissen Sie, was es bedeutet, wenn eine erstarrte Mimik und Gestik jemanden einschließen, ungebremste oder eingefrorene Bewegungen den kommunikativen und gestalterischen Kontakt zur Welt verwehren und den Erkrankten in zunehmendem Maße der Möglichkeit berauben, sich seiner Umgebung als Persönlichkeit mitzuteilen. 

Bewegung und Haltung sind durch subtile und vielschichtige Steuerungssysteme1 koordiniert und in die Gesamtheit aller Lebensprozesse eines Menschen eingebunden. Für das Bewegungssystem ist die sehr differenziert organisierte Koordination der Muskulatur mit ihrem komplexen Stoffwechsel zentral. Das bessere Verständnis dieser Bereiche hat die Sicht auf die Entstehung und die Behandlung von Krankheiten grundlegend verändert.

Als größtes menschliches Wahrnehmungsorgan bestimmt das Bewegungssystem gemeinsam mit dem Berührungs- und Schmerzempfinden ganz wesentlich unser Erleben der Welt, ebenso wie ­das unserer inneren Befindlichkeit. Das »Ich-Gefühl« konstituiert sich gerade auf der Grundlage unseres Körperempfindens und wird sehr stark geprägt von bewussten und unbewussten Botschaften aus dem Bewegungssystem. Immer mehr ins Blickfeld der Forschung rückt die Muskulatur in ihrem bindegewebigen Verbund dabei als ein Organ, das auch zahlreiche Botenstoffe ausschüttet. Deren Wirkspektrum reicht von der Anregung des Immunsystems über die Neubildung von Gehirnzellen bis hin zum Aufbau eines besseren Schutzes gegen Herzinfarkt.

Die autonomen Steuerungssysteme

Unter diesem Begriff fassen wir einige ganz unterschiedlich strukturierte Regulationsmechanismen zusammen. Gemeinsam ist ihnen die Fähigkeit zur ständigen Neujustierung und Ausbalancierung aller Lebensprozesse in ihrer Gesamtheit. Sie sorgen dafür, dass im Menschen alles mit allem verbunden bleibt und der Organismus sich den wechselnden Anforderungen des Alltags rasch und effektiv anpassen kann, und sie regulieren sich weitgehend selbstständig (unbewusst), eben »autonom«. 

Zu den autonomen Steuerungssystemen gehören das vegetative Nervensystem, die Kommunikation zwischen Zellen und Organen durch Neurotransmitter und Hormone als Botenstoffe, sowie die schon erwähnten Steuerungssysteme der Muskulatur. Von diesen Systemen am längsten bekannt und am besten erforscht ist das vegetative Nervensystem, bestehend aus dem Sympathikus und seinem Gegenspieler, dem Parasympathikus. Sie sind wesentlich an der Steuerung der Durchblutung und an der Funktion der meisten Körperorgane beteiligt. 

Wenn Sie zum Beispiel morgens noch im warmen Bett liegen, setzt allein schon der stille Entschluss, nun endlich den Weg ins Bad anzutreten, Ihr vegetatives Nervensystem in Bewegung – und zwar völlig unbemerkt. Ihre Gedanken an das Aufstehen aktivieren Nervengeflechte des Sympathikus. In der Folge schlägt Ihr Herz ein wenig schneller und durch das Öffnen von Gefäßen werden Ihre Beinmuskeln besser durchblutet. So tragen Ihre Beine Sie sicher, wenn sie dann wirklich aufstehen. Das Vegetativum kontrolliert Herzschlag, Organdurchblutung, Blutdruck, Atmung, Verdauung und Stoffwechsel. Es reagiert ausgesprochen empfindlich und schnell – was nicht nur beim morgend­lichen Aufstehen von Nutzen ist. 

Wenig hilfreich kann dieses prompte Reagieren aber auch sein; dann etwa, wenn es Ihnen auf eine unwirsche Bemerkung Ihres Chefs hin einen Schweißausbruch beschert, in Sekundenschnelle Ihren Herzschlag verdoppelt, und Ihr klares Denken behindert. Auf welche Weise Stress krank machen kann, ist gut erforscht; Fehlreaktionen des Vegetativums spielen dabei eine zentrale Rolle. 

Am wichtigsten für die Diskussion über die Wirkungen von Yoga ist dabei die bei Stress zu beobachtende kaskadengleiche Ausschüttung verschiedener Neurotransmitter wie Adrenalin und Cortisol, für die sich der Begriff »Stressachse« eingebürgert hat. Was als Unterstützung für den schnellen Spurt zum rechtzeitigen Erreichen des Busses nützlich ist, gerät bei Dauergebrauch zu einer ernsthaften Belastung für die Gesundheit (mehr dazu im Kapitel 10). Offensichtlich ist die enge Verbindung der autonomen Steuerungssysteme mit dem Bewegungssystem: Aufregung kann Hände zittern lassen, und ein Waldlauf vermag eine innere Unruhe zu besänftigen. Spannung und Entspannung etwa vermitteln sich wesentlich über das Zusammenspiel von vegetativem Nervensystem und ­Muskulatur.

Das mentale System

Das mentale oder psychisch-seelische System umfasst alles, was unser Erleben, unsere Gefühle, unser Denken, unser Vorstellen und Erinnern ausmacht – kurz: alle Aktivitäten unseres Geistes –, und ist gekennzeichnet durch ein schier unfassbar hohes Maß an Flexibilität. Es repräsentiert uns die uns umgebende Welt und lässt uns ebenso intuitiv wie absichtsvoll andere und uns selbst in der Welt wahrnehmen. Dabei trennt es individuell und aktuell Bedeutsames, andernfalls wären wir in dieser Welt der endlos auf uns einströmenden Eindrücke ­verloren. Nach innen hinein erlaubt es uns, seine eigenen verschiedenen Aspekte zu unterscheiden und zu beeinflussen: das Erinnern, das Vorstellen, die Ordnung von Gedanken und Empfindungen. Es ist das System, mit dessen Hilfe wir ein Leben lang lernen. Es formt unsere Gefühle ebenso wie unser Vermögen, Probleme zu lösen, uns differenziert zu verhalten und Aufgaben auszuführen, die wir uns gesetzt haben oder die uns aufgetragen werden. 

Wurde in früheren Zeiten vehement noch für die strikte Trennung zwischen Geistig-Seelischem und Körperlichem gefochten, so haben Psychologie und Neurowissenschaft in den letzen beiden Jahrzehnten dafür gesorgt, dass eine solche Position heute nicht mehr gehalten werden kann. Diese Entwicklung schlägt sich nieder in einem immer umfangreicheren Wissen über die engen Verflechtungen aller Körperprozesse mit unseren mentalen Aktivitäten, unserer Erfahrung und unserer inneren Gestimmtheit. 

Die Rolle des Geistes bei der Entstehung von Krankheit wird klarer: So zeigen etwa im Rahmen der Stressforschung aufgedeckte Mechanismen und Zusammenhänge, wie aufgrund psychischer Belastung spezifische vegetative Prozesse ins Ungleichgewicht geraten und diese Dysbalance auf die innere Stimmung und Wahrnehmung eines Menschen zurückwirkt. Eine solche Negativ-Spirale kann schließlich schwere Erkrankungen auslösen. Gleichzeitig eröffnen die neuen Kenntnisse Möglichkeiten für die Heilung. Uns verhelfen sie zu einem tieferen Verständnis der Wirkungen von Yogapraxis. 

Wir wissen, dass und wie angemessene Wahrnehmung, positives Denken, Meinen und Fühlen auf alle Lebensprozesse eines kranken Menschen einwirken. Wir wissen auch, welche Rolle Selbstvertrauen und Vertrauen in eine Therapie für den Verlauf von Heilung spielen, wie wichtig angesichts einer Krankheit die Fähigkeit ist, eine Situation annehmen zu können, wie eine positive innere Gestimmtheit das körpereigene schmerz­hemmende System aktivieren kann und wir lernen, welche Prozesse dafür verantwortlich sind, dass Übungen der Achtsamkeit, Bewegung und bewussten Atemführung eine düstere Stimmung aufhellen und Raum schaffen können für neue Gedanken und Perspektiven. Kurz: Wir verstehen immer besser die biologischen Grundlagen der Tatsache, dass unser Geist Heilungsprozesse fördern kann. Auch zu diesen Aspekten mehr im Kapitel 10. 

Die enge Verbindung zwischen den genannten Systemen vermittelt sich ganz offenkundig über unserem Körper und Leben eigene Strukturen. Zur Erklärung ihrer Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten bedarf es keines Glaubens – weder an einen besonderen Lebenssaft noch an eine immaterielle Lebensenergie, die auf unsichtbaren Kanälen unseren Körper durchzieht – Vorstellungen, denen Sie auch heute noch im Zusammenhang mit Yogawirkungen immer wieder begegnen werden. Sie verstellen den Blick auf die wirkliche Organisation unseres Lebens in ihrer Komplexität. Vor allem aber verhindern sie einen ehrlichen, wirksamen und kritischen Umgang mit den Mitteln des Yoga.

Yoga als Impuls

„Yogapraxis muss verstanden werden als ein spezifischer Impuls, der auf sehr komplexe, extrem vernetzte Systeme trifft.“

Heute lässt sich also viel besser als früher beschreiben, auf welche Weise Yoga einen Menschen erreicht. Yogapraxis muss verstanden werden als ein spezifischer Impuls, der auf sehr komplexe, extrem vernetzte Systeme trifft. Diese Lebenssysteme werden ­dabei nicht aus dem Dornröschenschlaf geweckt, sondern begegnen dem ­Impuls aus einer wohlstrukturierten, ­hohen und ständig auf Gesundheit ­ausgerichteten Aktivität heraus. Sie ­reagieren nun in ihrer Gesamtheit und engen Verbundenheit auf den besonderen »Impuls Yoga“. Ihre Antwort entwickelt sich dabei entlang ihrer eigenen Möglichkeiten und ­Strukturen von Selbstorganisation.
Manche Wirkerklärungen zu Yogapraxis basieren auf der Konstruktion einer den wirklichen Lebensprozessen gleichsam übergeordneten »Energie«, die sich im Körper spüren und mit entsprechenden Übungen kontrollieren und »bewegen« ließe. Solche Vorstellungen finden sich schon im Zusammenhang der Allmachtsfantasien vieler mittelalterlicher Yogastömungen. Dort glaubte man an die Beherrschbarkeit aller Körperprozesse, jeder Krankheit und oft auch an eine Überwindung von Alter und Tod. Einem solchen Menschenbild fehlt das tiefe Verständnis des menschlichen Lebens und der Respekt vor dessen Eigendynamik und seiner großartigen Selbstorganisation.

Diese Lebenssysteme werden dabei nicht aus dem Dornröschenschlaf geweckt, sondern begegnen dem Impuls aus einer wohlstrukturierten, hohen und ständig auf Gesundheit ausgerichteten Aktivität heraus. Sie reagieren nun in ihrer Gesamtheit auf den besonderen »Impuls Yoga«. Ihre Antwort entwickelt sich dabei entlang ihrer eigenen Möglichkeiten und Strukturen von Selbstorganisation. Zwischen jeder Yogaübung und ihrer Wirkung steht also stets die besondere Dynamik und Vernetzung dieser menschlichen Lebensprozesse. Erst in ihrem Zusammenspiel formt und konkretisiert sich nun ein therapeutischer Effekt. Was letztlich als Wirkung einer bestimmten Yogapraxis erfahren oder beobachtet wird, ist also die aktuelle Antwort der Gesamtheit dieser Lebensprozesse eines Menschen auf den Impuls der Praxis.

Für das Verständnis der therapeutischen Wirkung von Yoga ist dies eine wichtige Botschaft. Sie bedeutet, dass sich die Wirkmechanismen einer Yogapraxis nur angemessen begreifen lassen, wenn die sich selbstorganisierende Eigendynamik des menschlichen Systems gewürdigt und respektiert wird. Daran fehlt es in vielen Wirkerklärungen zum Yoga allerdings leider sehr oft, beispielsweise wenn behauptet wird, mit Yogaübungen könne der Hormonspiegel direkt beeinflusst und die Durchblutung einzelner Organe beherrscht werden oder es seien bestimmte Drüsen nach Belieben regulierbar. 

Auch wenn jede Krankheit zur zwingenden Folge ungelöster innerer Konflikte erklärt oder der Eindruck vermittelt wird, zur Heilung brauche es nichts weiter als eine positive Einstellung, wird der Struktur und den Besonderheiten der sich selbst regulierenden Dynamik menschlicher Lebensprozesse nicht genügend Rechnung getragen. Dieser Mangel an Verständnis hat den Yoga in seiner langen Tradition leider immer schon begleitet. In manchen alten Texten wurde behauptet, dass sich besondere »Energien« allein durch Geisteskraft im Körper verschieben ließen. Entsprechend wurden bestimmten Yogaübungen wahre Wunderwirkungen zugesprochen. Und wenn es damals hieß, dass dieses oder jenes Āsana »alle Krankheiten« heilen oder nach einer entsprechenden Praxis »selbst stärkstes Gift dem Körper nicht mehr schaden« könne, dann war diese Überheblichkeit ernst gemeint. 

Heute werden ähnlich falsche Vorstellungen gern in ein wissenschaftlich-medizinisch erscheinendes Gewand gekleidet. Dabei ergeben sich nicht weniger skurrile Behauptungen: Ein Āsana soll durch eine Kompression der Nieren den Urinfluss anregen (die »Kobra«, Bhujangāsana), das andere durch Druck der Ellenbogen auf die Bauchspeicheldrüse Diabetes heilen (der »Pfau«, Mayūrāsana), ein Drehsitz (Matsyendrāsana) soll die Vergrößerung von Prostata und Blase verhindern. Wir werden uns in Kapitel 12 noch ausführlicher mit der Problematik solcher Aussagen auseinandersetzen.

An dieser Stelle wollen wir Sie lieber zu einem kleinen Experiment einladen.

Vielleicht leiden Sie gerade unter einem verspannten Nacken. Dann haben wir hier ein kleine Übung zum Ausprobieren für Sie (natürlich auch dann, wenn Ihr Nacken bei bester Gesundheit ist; vielleicht lernen Sie ihn dabei ein bisschen besser kennen). Legen Sie sich einfach einmal auf den Boden (wenn Sie zufällig zu Hause sind), stellen Sie die Füße auf und machen Folgendes: Während Sie einatmen, heben Sie den rechten Arm und legen ihn bequem nach hinten ab. Der Arm bleibt nun liegen, wo er ist, und mit der folgenden Ausatmung lassen Sie Ihren Kopf soweit locker nach links rollen, wie es ohne Widerstand geht. Führen Sie die Bewegung zusammen mit dem Atem möglichst langsam aus – so wie es Ihnen angenehm ist. Beim nächsten Einatmen rollen Sie den Kopf in die Mitte zurück – der rechte Arm liegt noch immer hinten – und erst mit der folgenden Ausatmung bewegen Sie den Arm zurück neben den Körper. Dann atmen Sie zwischendurch ein oder zwei Mal ganz frei ein und aus, bevor Sie den Vorgang mit dem anderen Arm wiederholen (der Kopf rollt entsprechend nach rechts und wieder zurück). Diese Übung führen Sie fünf Mal hintereinander durch. (Für Interessierte: Sie haben gerade eine dynamische Variante eines viel geübten Āsana praktiziert: Shavāsana.) Wenn Sie sich jetzt wieder hinsetzen, könnte es gut sein, dass Ihre Nackenverspannung etwas weniger geworden ist. Für Sie ist natürlich das Wichtigste, dass sich Ihr Nacken wohler anfühlt als vorher.

Vielleicht möchten Sie aber auch wissen, wie die Wirkung zustande gekommen ist? Nachfolgend geben wir Ihnen dazu einige Antworten. Fangen wir mit der naheliegensten an:

  • Wir wissen, dass sich in jeder Verspannung eines Muskels eine Fehlfunktion ausdrückt, eine sogenannte »muskuläre Dysbalance«. Einfach formuliert: Die Muskelfunktion ist unharmonisch. Die ­Dysbalance hat mit fehlerhaften Aktivitätsmustern der Nervengeflechte zu tun, die für die Anregung und Koordination der vielen verschiedenen Muskelstränge – hier der des Nackens – verantwortlich sind. Manche Muskelbereiche kontrahieren zu stark, andere zu schwach, manche voreilig, andere hingegen zu zögerlich. Entsprechende Untersuchungen haben zutage gebracht, welche entscheidende Rolle die neuromuskuläre Koordination für die gesunde Kraftentfaltung eines Muskels spielt. Dabei geht es um eine angemessene (unbewusste) Wahrnehmung des Zustands unseres Bewegungssystems durch eine Vielzahl von Wahrnehmungszellen (Rezeptoren) einerseits und entsprechend angepasste Reaktionsmuster im Groß- und Kleinhirn andererseits. Muskuläre Dysbalancen drücken sich auch in Störungen der Durchblutung und Ernährung des Muskels aus, die wiederum zu Fehlspannung und Schmerz führen. Wir wissen nun, dass schmerzfreie Bewegungen die Aktivitätsmuster und die Koordination der entsprechenden Muskulatur harmonisieren und dass leichtes Dehnen von Muskeln übermäßige Spannungen lösen sowie sanfte Kontraktionen ihre Durchblutung und damit ihre Ernährung verbessern. Dies alles hat Ihre kleine Übung schon einmal in Fluss gebracht. Daneben schließt jede Bewegung der Wirbelsäule die Mobilisierung vieler Gelenke ein. In der Halswirbelsäule sind es allein mehr als fünfzehn, die durch diese kleine Drehung des Kopfes in Bewegung kommen. Auch sie werden dabei mehr durchblutet und ihre Gleitfähigkeit verbessert sich.
  • Aber damit ist über den Impuls, der von dieser Übung ausgeht, noch nicht alles gesagt: Wir hatten Sie ja gebeten, ihre Bewegungen mit einem möglichst langsamen Atemfluss zu koordinieren. Das hat ihren Atem gleichmäßiger und länger werden lassen. Vom Atemrhythmus wissen wir nun, dass er in sehr enger Beziehung zum vegetativen Nervensystem steht: Wird er langsam und gleichmäßiger, sinkt die Aktivität des Sympathikus, des »Stressantreibers«. Das führt nicht nur zu einer Reduzierung der Spannung der gesamten Muskulatur, sondern drückt sich auch in einer Veränderung der inneren Stimmung aus: Sie fühlen sich vielleicht schon deshalb etwas wohler in Ihrer Haut, weil Sie entspannter sind.
  • Ferner wirkt die Übung über die Ausrichtung Ihres Geistes: Sie waren für einige Minuten aufmerksam, Ihr Geist wesentlich mit der Ausrichtung auf das Üben beschäftigt. Auch das hat Ihr inneres Steuerungssystem verändert; weil die Zeit des Übens nur sehr kurz war, betraf dies vor allem Ihre vegetative Regulation; eine positive Veränderung eingeschliffener fehlorganisierter Bewegungsmuster würde eine wiederholte Übungspraxis verlangen.
  • Und noch etwas anderes hat eine Rolle gespielt: Wenn Sie sich auf dieses Experiment eingelassen haben, dann wahrscheinlich auch deshalb, weil Sie davon ausgegangen sind, dass jemand, der ein Buch mit dem Titel »Heilkunst Yoga« schreibt, Erfahrungen mit der Yogatherapie hat. Der Vertrauensvorschuss, den Sie uns damit gegeben haben, hat den von dieser kleinen Übung ausgehenden positiven Wirkungen den Weg geebnet.
  • Würden Sie diese Übung darüber hinaus nun regelmäßig praktizieren und dabei wiederholt die Erfahrung machen, dass durch Ihr eigenes Tun Ihre Nackenverspannung nachlässt, dann würde Ihr Vertrauen in die heilende Wirksamkeit des eigenen Handelns ­gestärkt, die Selbstwirksamkeitserwartung also zunehmen.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Die kleine Übung aktiviert Ihr System über ganz unterschiedliche, jedoch durchaus nachvollziehbare Wege. Sie stößt eine innere selbstorganisierende Dynamik an, in der vielfältige Abhängigkeiten und gegenseitige Einflüsse unterschiedlicher Lebensprozesse zur Wirkung kommen.

Individuelle Wirkung

Für die weitere Diskussion unseres Modells »Impuls trifft auf Selbstorganisation« möchten wir ein Bild nutzen, mit dessen Hilfe der Yoga schon vor knapp zweitausend Jahren die Frage nach der Wirkung von Yogapraxis zu beantworten versuchte. Es ist das Bild eines ­Reisbauern, der zur Bewässerung seines Feldes einen Damm öffnet.

Was kann uns dieses Bild vermitteln? Im traditionellen indischen Ackerbau sind die Felder in kleine Parzellen aufgeteilt, voneinander getrennt durch einen Erdwall. Alle Parzellen grenzen an ein System von Gräben, die mit Wasser geflutet sind. Ist die Saat auf einem Feld ausgebracht, wird der Erdwall mit dem Spaten durchstochen. Das Wasser überflutet das Feld, und nach einiger Zeit beginnt darin die Saat zu wachsen. Yoga, heißt es im Yoga Sūtra – dem Text, der dieses Bild beschreibt – bewirke »nicht mehr« als ein Bauer mit dem Durchstechen eines Damms; das Wasser fließt von allein hinein, die Keimlinge sprießen ohne weiteres Zutun. Der Bauer gibt mithin »nur« einen Anstoß zum Wachsen und Reifen der Feldfrüchte. Auf die Yogatherapie übertragen, entspricht dieser Anstoß dem Üben einer bestimmten Praxis. Das Feld steht für den übenden Menschen, für das Gesamtsystem eines einzelnen Individuums. Auf den Impuls (das Wässern des Feldes, das Üben des Menschen) folgt eine Reaktion. So wie die Saat auf dem Feld wächst, verändert sich der Mensch durch das Üben einer bestimmten Praxis. Zu einer der Botschaften dieses Bildes haben Sie hier mittlerweile schon etwas gelesen: Jede Maßnahme des Yoga, die den Körper oder den Geist eines Menschen beeinflussen will, wirkt niemals direkt. Sie ist vielmehr der Anstoß für einen Prozess, der von der Eigendynamik des menschlichen Systems geprägt wird.

Worauf wir Ihre Aufmerksamkeit nunmehr aber richten wollen, ist eine zweite wichtige Aussage, die das Bild transportiert:

„Die Wirkung einer Yogapraxis organisiert sich in hohem Maße individuell.“

Auch in unserem kleinen Übungsvorschlag für Ihren Nacken ist dieser Aspekt zu berücksichtigen. Für Sie bekommt er vor allem dann praktische Bedeutung, wenn Ihre Verspannung sich von der Übung unbeeindruckt zeigt und der Nacken doch noch weiter schmerzt oder bestehende Schmerzen sogar zugenommen haben sollten (was wir nicht hoffen). So taugt diese Übung zum Beispiel gar nicht, wenn Ihre Nackenschmerzen von einem akuten Bandscheibenvorfall im Halsbereich herrühren würden. Wir kommen an dieser Stelle noch einmal auf das Bild zurück. Für das Reisfeld erklärt sich das Wachsen der Saat als Reaktion auf den Dammstich nur über seine Besonderheit, etwa darüber, wie die Beschaffenheit des Bodens ist, welche Reissorte ausgebracht wurde, wie viel Unkraut dort wachsen wird. Und wie für das bewässerte Feld gilt auch für das innere System der Yoga-Übenden: Die besonderen im Menschen angelegten Möglichkeiten bzw. jene, welche davon aktuell zur Verfügung stehen, bestimmen, wie Yoga darauf wirkt.

Alles, was wir Ihnen zu Muskeldurchblutung, zu neuromuskulärer Koordination, zu Stressabsenkung und zur Bedeutung eines Vertrauensvorschusses erzählt haben, ist weiterhin richtig. Wir haben es bisher nur unterlassen, von diesem besonderen Charakter des menschlichen Systems zu sprechen, der für das Verständnis der Wirkungen von Yoga von großer Bedeutung ist. Ihre Verspannung im Nacken ist von der Stärke her beispielsweise nicht dieselbe wie die einer anderen Leserin, die sich zu diesem kleinen Experiment hat überreden lassen. Der Zustand Ihrer Wirbelsäule, die Flexibilität Ihrer Bänder, Ihre Bewegungsmuster – all das findet sich so bei keinem anderen Menschen, und auch Ihre Vorerfahrungen mit Körperübungen sind andere, ebenso Ihre Einstellung zu einem solchen Verfahren, Ihr Vertrauen in den unterbreiteten Vorschlag etc. In der Konsequenz berühren die Impulse einer Yogapraxis also nicht nur unterschiedliche Lebensprozesse gleichzeitig, setzen nicht nur eine durch die menschliche Evolution geprägte selbstorganisierte Eigendynamik in Gang. Vielmehr wirken sie ganz spezifisch auf den einzelnen Menschen, dessen körperliche wie auch geistig-seelisch-psychische Strukturen sich durch eine hohe Individualität ­auszeichnen.

Aber – könnten Sie einwenden – folgen nicht alle Lebensprozesse des Menschen in weiten Bereichen immer gleichen Grundmustern und festgelegten Abhängigkeiten? Wird der Individualität hier nicht eine zu große Bedeutung beigemessen? Werden etwa nicht bei jeder Person, die regelmäßig eine halbe Stunde lang joggt, immer ein ­beschleunigter Puls und ein höherer Blutdruck zu beobachten sein, wenn diese Werte nach dem Laufen überprüft würden? Sie haben recht, das wird so sein. Gleichwohl wissen wir auch, dass die exakt gleiche sportliche Aktivität (zum Beispiel das Laufen von gleicher Dauer und gleicher Wegstrecke mit gleicher Laufgeschwindigkeit) in dem einen Fall den Blutdruck möglicherweise nachhaltig senken hilft, in dem anderen jedoch einen bedrohlichen Herzanfall auslösen kann. JedeR gute FitnesstrainerIn weiß heute, dass die Effektivität eines Workouts entscheidend davon abhängt, ob dieses für die jeweilige Person auch wirklich angemessen ist. 

Die Berücksichtigung der Individualität hat eine große Bedeutung für die Therapie mit Yoga. Gleichzeitig widerspricht sie auch der landläufigen Meinung, einer einzelnen Yogaübung ließe sich verlässlich eine ganz bestimmte therapeutische Wirkung zuordnen. Es gibt kein »Āsana gegen Rückenschmerzen«, keine »Migräneübungen«, kein »Āsana gegen Verstopfung«, keine verlässliche »Praxis gegen das Reizdarmsyndrom«. Manche Schlafstörung verschwindet nach ­wenigen Wochen des Übens einfacher Āsanas, eine andere lässt sich nur über lange Zeit mithilfe differenzierter Atemtechniken ­beeinflussen und eine dritte verlangt neben Entspannungstechniken vom Betroffenen vielleicht vor allem einen anderen Umgang mit den Anforderungen des Alltags.

Die Wirkung einer Yogaübung ist eben nicht unabhängig von dem sie ausführenden Individuum, und sie kann nur im Zusammenhang mit der Individualität eines Menschen verstanden werden. Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass zum Beispiel die gleiche Form einer fleißig geübten Rückbeuge den einen von seinen Rückenschmerzen befreit, während sie für den anderen eine Überforderung darstellt, die in mehr Spannung, mehr Schmerz und noch mehr Frustration mündet. Wer nur die Yogapraxis im Auge hat – also die einzelne Körper- oder Atemübung, die besondere Meditation – und nicht auch gleichzeitig die Besonderheiten der Übenden, wird weder befriedigende Wirkungen sehen noch die Gründe für bestimmte Sachverhalte verstehen. 

So wie jeder Mensch ist auch eine Krankheit immer individuell; in ihrer Entstehung, ihrem Verlauf und den Möglichkeiten, sie zu beeinflussen, ist sie immer die spezielle Erkrankung von Herrn B. oder Frau S. Deshalb ist eine Yogapraxis auch nur dann effektiv, wenn die Impulse, die sie gibt, zur rechten Zeit mit dem rechten Maß an der richtigen Stelle ansetzen. Dass Bücher und Zeitschriften voll von angeblich sicher wirkenden Yogarezepten sind, sollte Sie nicht irritieren: Sie wissen ja, Papier ist geduldig. Das menschliche System reagiert auf eine Yogapraxis also immer nur in seiner individuellen Dynamik von Körper, Intellekt, Sinnen und Gefühlswelt. Für die konkrete Ausformung dieser Reaktion spielt auch der Umstand eine wichtige Rolle, dass die therapeutische Yogapraxis regelmäßig wiederholt werden muss. Je öfter und kontinuierlicher aber ein Übungsimpuls einwirkt, desto stärker reagiert darauf das System – in seiner eigenen Weise.

Kurz gesagt:

  • Yogapraxis ist ein Impuls, der auf die sich ­selbst organisierende auf ­Gesundheit ausgerichtete Dynamik des ­menschlichen Systems trifft.
  • Klug und angemessen gewählt kann ein solcher Anstoß eine ins ­ Ungleichgewicht geratene Dynamik ­reorganisieren und damit gestörte ­Selbstheilungsprozesse wieder in Gang ­bringen.
  • Jedes menschliche System ist anders beschaffen. Deshalb ist die ­ Reaktion auf diesen Impuls immer eine individuelle Reaktion. Aus ihr heraus ­entwickelt sich schließlich das, was wir als ­Wirkung von Yoga ­erleben und beobachten. Der aus dem indischen Mittelalter stammende Glaube, es gäbe für jede ­Yogaübung eine definierte Wirkung, ist unzutreffend. Er gründet in einem mechanistischen Bild der menschlichen Lebensprozesse und ­findet weder in der Erfahrung noch in wissenschaftlichen ­Untersuchungen eine Bestätigung.
  • Jede Yogaübung aktiviert das menschliche System immer gleichzeitig über viele ganz unterschiedliche Wege. Auch wenn viele Antworten auf Fragen und sicher Überraschendes noch auf Entdeckung warten: Die dabei angestoßene innere ­selbstorganisierende Dynamik ist heute in wesentlichen Bereichen ­nachvollziehbar und erklärt. Durch die ­vielfältigen Abhängigkeiten, die ­extrem komplexen gegenseitigen ­Einflüsse und stark individuelle­­ ­­­Prägung der dabei wirkendenden ­Lebensprozesse wird sich die ­Gesamtwirkung einer Übung aber auch in Zukunft nur sehr begrenzt ­vorhersehen lassen. Deshalb braucht ­erfolgreiche Yogatherapie eine ­offene Kommunikation und Orientierung an den konkreten Erfahrungen der übenden Person.
  • Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer »prozessorientierten ­ Diagnostik«, in der die individuelle Reaktionen auf die Yogapraxis als ­diagnostisch relevante Einsichten in die innere Dynamik einer Person verstanden werden.

 

Abdruck aus dem Kapitel »Wie Yoga wirkt« aus: I. Dalmann, M. Soder, HEILKUNST YOGA – Yogatherapie heute, Verlag Viveka, 2. Aufl. 2016